Wenn die FOTOS Tabula rasa machen, dann aber so richtig. Mit dem 2010 erschienen Album „Porzellan“ trennten sie sich von ihrer Plattenfirma EMI und fanden zu einem neuen Sound.
Derzeit touren sie mit dem Goethe Institut durch Portugal – dem UNIMAG erzählen sie von den Album Aufnahmen zu „Porzellan“, Lieblingsmusik, Liveshows sowie Experimenten mit Ketten und Staubsaugern.
Das aktuelle Album „Porzellan“ hat sehr gute Kritiken erhalten. Es wurde unter anderem als Album des Jahres 2010 gehandelt. Seht ihr solche Reaktionen als Lohn für den Mut an, den ihr mit der Platte beweist oder setzen sie euch eher unter Druck?
Beppo: „Porzellan“ war für uns eine Art Befreiungsschlag. Wir haben mit dem ersten Album bis heute die größte Aufmerksamkeit bekommen und dann mit dem zweiten Album „Nach dem Goldrausch“ den Druck der Plattenfirma und die Erwartungen der Hörer zu spüren bekommen. Es war toll sich bei „Porzellan“ von all dem zu befreien und sich die Zeit zu nehmen, die es braucht ein Album zu machen, mit dem man sehr zufrieden ist.
Euer Lied ‚Angst’ hört sich stark nach einem Befreiungsschlag an. Ihr betont auch oft dass ihr eine Band seid, die sich gerne verändert und Neues wagt. Seid ihr mit „Porzellan“ bewusst neue Wege gegangen? Wurdet ihr auch von den Veränderungen mit der Plattenfirma inspiriert?
Tom: Musik entsteht bei mir unbewusst. Ich setze mich an den Rechner und das was mir nach einer Weile immer noch gefällt bekommt einen Text. Die Texte sind auch meist erst Ecriture Automatique. Dann liest man das Geschriebene und versucht es für sich selbst mit Sinn zu füllen. „Porzellan“ wurde zu dem was es ist, weil die vorangegangene Zeit von Sucht, Rausch, Depression, Verschwendung, Vereinsamung, Selbstzerstörung und Eskapismus geprägt war. Hätte ich mich, statt meinen Ärger und Schmerz wegzuraven, mit mir auseinandergesetzt, wäre was anderes daraus geworden. Meine Schlafzimmer-Demos klangen schon genauso wie das fertige Album am Ende. Momentan weiß ich nicht wie es musikalisch weitergeht. Vielleicht nehmen wir das nächste Album gleich bei mir im Schlafzimmer auf.
Deniz: Es war schon ein sehr gutes und befreiendes Gefühl, auf keine Plattenfirma und vor allem auf keine Zeitpläne und Deadlines Rücksicht nehmen zu müssen. Olaf Opal ist auch ein Produzent, der im Studio gerne unerwartete Wege einschlägt und viel rumexperimentiert. Die Kombination war also perfekt für uns und das Album!
Tom Hessler hat gesagt, eure Intention bei „Porzellan“ war es, so extrem und experimentell wie möglich zu sein. Was sah das genau aus?
Deniz: Der Plan war vor allem mit der Soundästhetik des vorherigen Albums zu brechen, das heißt viel Hall, Lärm und Verzerrung an Stelle des trockenen, cleanen Sounds von „Nach dem Goldrausch“. Beim nächsten Album ist also wieder alles offen!
Manche finden die Texte auf „Porzellan“ zu philosophisch und schwer, manche halten sie für tiefgründig aber dennoch nicht schwer. Was sagt ihr, überwiegt hier die (unerträgliche) Leichtigkeit des Seins oder doch das Schwere?
Tom: Im Nachhinein erscheinen mir die Texte auch recht überladen. Wenn sie ein Gebäude wären könnte man „barock“ sagen. Das passt, schließlich geht es um Sucht, Verschwendung, Rausch, Selbstzerstörung, Eskapismus und Depression – alles sehr große Begriffe. Dass in Lars von Triers „Melancholia“ ein gleichnamiger Planet der Erde naht, um die Apokalypse einzuläuten kommt nicht von ungefähr. Als Depressiver nimmt das empfundene eigene Leid das Ausmaß eines Planeten an. Ich konnte gar nicht genug Pathos anwenden zu dieser Zeit. Genauso ausladend und wuchtig wie die Texte, ist auch die Musik deren Hauptinstrument der leere, große Betonraum ist, in dem sie aufgenommen wurde. Zuhörer die nicht aufmerksam hinhören, halten das Album deswegen für eine größenwahnsinnige Stadionrockplatte. In Wahrheit ist „Porzellan“ das klangliche Abbild der Leere der Seele.
Die Gitarren in ‚Alles schreit’ erinnern mich immer wieder an THE JESUS AND MARY CHAIN, gibt es da Parallelen? Habt ihr überhaupt andere Bands als Vorbilder?
Tom: Olaf (Anmk. d. Red.: Opal, Produzent) und ich sind große THE JESUS AND MARY CHAIN Fans, aber das Konzept „Noise und Raum“ war eigentlicher Pate. Es stellte sich für uns heraus, dass in den Achtzigern viele Künstler den gleichen Ansatz hatten. Es war sehr schwer nicht an jeder Ecke Referenzen herausarbeiten zu wollen. Plötzlich hört man SUICIDE oder SPIRITUALIZED in der eigenen Musik und freut sich erstmal, aber eigentlich muss man diese Spuren schnell verwischen um nicht als Plagiat beschimpft zu werden. Ich halte den Sound von Bands aus den Achtzigern mittlerweile schon für Grundrezepte. Natürlich hat einer irgendwann als erster ein Gericht gekocht. Aber es wird, wenn es gut war, von anderen immer wieder neu erfunden und in Nuancen anders schmecken. Man würde nie einen Koch als schlecht beschimpfen nur weil er etwas Eigenes ausgehend von Rezeptklassikern schafft.
Sehr beeindruckend im Produktions-Dairy (zu sehen auf YouTube) ist das Schlagzeug! Wie ging das technisch von Statten?
Beppo: Das Besondere an den Schlagzeugaufnahmen war, dass wir in einem Hamburger Bunker aufgenommen haben, der mit seinen 6m hohen Betondecken alles Andere als für Musikaufnahmen geeignet war. Dadurch haben wir diese wummernden und langen Sounds hinbekommen. Außerdem habe ich alle Grundbeats ohne Becken eingespielt und sie – wenn nötig – hinterher overdubbed. Dann gab es natürlich noch diverse Experimente mit Ketten und Staubsaugern… 😉
Was hören die FOTOS gerade privat?
Frieder: BON IVER. Der war gerade in Hamburg und es ist sehr lang her, dass ich mich so auf ein Konzert gefreut hab.
Beppo: Ich mag Bands wie APPARAT, BATTLES oder das letzte DANGER MOUSE Album „Rome“. Es gibt aber auch tolle zum Teil neue Bands aus Deutschland wie zum Beispiel BOY, JACK BEAUREGARD oder TIMID TIGER.
Frieder, Tom und Beppo haben sich an der Hochschule für Theater und Musik in Hamburg kennengelernt und Deniz hat die Hochschule für Tanz und Musik in Köln besucht. Wie war für euch die Studentenzeit?
Frieder: Lange her und zumindest für mich auch ziemlich ziellos, da ich das Studium (AV Medien) ab dem vierten Semester zwar noch durchgezogen habe, aber nicht wusste, was ich damit machen wollte. An der Hochschule für Theater und Musik haben wir uns dann bei dem „Kontaktstudiengang Popularmusik“ kennengelernt, der nur aus zwei Blöcken à drei Wochen besteht. Das war, glaub ich, eher nach unser aller Gusto. Kurz und knackig und das Ergebnis war auch sehr konkret: Eine Band namens FOTOS.
Ihr wart mit dem Goethe Institut schon allerhand unterwegs, z. B.: in Sri Lanka, China, Mexiko, Indonesien. Kann man bei dem Tourstress diese ganz vielen unterschiedlichen Eindrücke der Länder eigentlich verarbeiten und welche besonderen Momente habt ihr mitgenommen?
Deniz: Die ganzen Goethe-Reisen der letzten Jahre waren natürlich ein unglaublich tolle Sache für uns, für die wir sehr dankbar waren und sind! Vor allem die längeren mehrwöchigen Aufenthalte haben den bleibendsten Eindruck hinterlassen, weil wir dann die Chance hatten richtig in ein Land einzutauchen. An erster Stelle steht sicherlich die insgesamt 7-wöchige Südostasientour durch Indonesien, Sri Lanka, Bangladesh und Indien im letzten Jahr. Begleitet wurden wir dabei übrigens von einem befreundeten Kameramann und Filmemacher und hoffen immer noch, dass aus den Stunden an Videomaterial irgendwann ein kleiner Film entsteht…
Was kann man von einem FOTOS-Konzert erwarten?
Deniz: Vor mittlerweile 2 Jahren haben Tom und ich angefangen die ersten Akustik-Konzerte zu zweit, in einem intimeren akustischeren Gewand, zu spielen. Da uns das immer sehr großen Spaß gemacht hat, wird es in Zukunft sicher noch das ein oder andere Duo-Stück mehr in unserem Set geben.
Ihr habt auch schon einige Male in Österreich gastiert. Was assoziiert ihr mit dem Land und plant ihr wiederzukommen?
Frieder: Großartige Auftritte, das Hotel Fürstenhof in Wien, fm4 und – last but not least – die leckere österreichische Küche. Ja, wir wollen wiederkommen.
Gibt es bereits Pläne für die Zukunft?
Deniz: In der Woche vor Weihnachten fahren Tom und ich auf eine kleine sechstägige Akustik-Tour. Ein neues Album wird es natürlich geben, wann und vor allem wie das klingen wird ist im Moment aber noch völlig offen!