Wir Sind Helden, die Band rund um Sängerin und Texterin Judith Holofernes, hat unzählige Soundtracks zum Leben der heute Anfang 20- bis Ende 30-Jährigen geliefert. Seit 2012 geht die Band nun (vorübergehend?) getrennte Wege. Mit „Ein leichtes Schwert“ legt Judith Holofernes nun ihr Debütalbum als Solokünstlerin vor und spricht damit nicht nur neu hinzugekommenes Publikum an, sondern überzeugt auch die Fans von damals. Mit uns hat sie darüber gesprochen, wie es sich anfühlt, als Solokünstlerin zu arbeiten, über das süße Nichtstun und über Helene Fischer und die scheinbar allmächtige Welt des Schlagers.

UNIMAG: Wie fühlt es sich für dich an, ohne deine gewohnte Band unterwegs zu sein?

Judith Holofernes: Es ist ganz toll. Nicht, weil die anderen nicht dabei sind, sondern weil ich einfach wahnsinnig großen Spaß daran habe, wieder Musik zu machen. Es ist auch schneller gegangen als erwartet, dass es wieder so richtig fließt. Beim ersten Konzert musste ich mich wahnsinnig konzentrieren, weil es 18 neue Songs und neue Leute waren, weil ich ja jetzt in einer anderen Position bin: Ich muss auf alle achten, bin Band-Leaderin (lacht). Dann hatte ich so einen Moment, in dem ich ungeduldig worden bin, weil ich in meinem Körper schon gespürt habe, dass es Spaß machen wird, aber ich mich noch zu viel konzentrieren muss und es noch nicht genießen kann. Ich hätte einfach gerne vorgespult! Am nächsten Abend hat es dann „Klick“ gemacht. Es ging wirklich total schnell, schneller als ich dachte. Es ist eine einzige Sause! Es sind aber auch so tolle Leute. Yeah! (lacht)

Dein Album wurde von der Wir Sind Helden-Fangemeinde sehr gut aufgenommen, auch die Kritiken fallen durchwegs positiv aus. Wie ist das für dich? 

Ein Teil ist natürlich Erleichterung – vor allem wenn man selbst Musik-Fan ist und seit Jahren mitbekommt, dass Fans nicht immer freundlich reagieren, wenn jemand etwas Neues macht. Es hätte ja sein können, dass alle sagen „alles ist scheiße, was nicht Wir Sind Helden ist“. Da hatte ich mich ein bisschen gewappnet. Es ist dann aber gar nicht passiert, das ist total schön.

Wenn man mit einer Band bereits erfolgreich war, dann haben die Leute gewisse Vorstellungen und Erwartungen an einen. Hast du beim Aufnehmen schon darüber nachgedacht, wie man das Ergebnis finden könnte?

Gar nicht! Das war das Schöne. Ich glaube, deswegen ist die Platte auch genau so geworden, wie ich sie haben wollte. Es wusste keiner davon und ich hatte auch keinen Abgabetermin. Dadurch hatte ich noch mehr als sonst das Gefühl, dass ich das nur für mich mache. Wenn ich an einen Hörer denke, dann denke ich unbewusst an eine Art idealisierten Hörer, der genau meinen Musikgeschmack hat und alles geil findet (lacht)! Dieser Moment, in dem man denkt: „So, jetzt gehe ich damit wirklich raus und muss mich zeigen“, kommt dann gottseidank immer erst viel später. Das ist dann nicht einfach.

Kannst du etwas über den Entstehungsprozess deiner Songs erzählen? Wie unterscheidet sich die Herangehensweise beim Songwriting zu der mit Wir Sind Helden

Wir hatten einen sehr speziellen Songwriting-Prozess, der auch total Spaß gemacht hat, für mich aber nicht immer einfach war. Auf der ersten Helden-Platte habe ich einen großen Teil der Songs schon komplett eingebracht, die waren schon fertig. Da wir aber eine Band mit vier Songwritern waren, habe ich immer von allen die Playbacks bekommen, ohne Gesangsmelodie. Dann haben wir zusammen beschlossen, welche alle gut finden. Ich hatte dann immer einen Stapel zu Hause liegen und wusste, dass ich dafür verantwortlich bin, ob der Song etwas wird oder nicht. Das war auf der einen Seite total toll, aber es war natürlich auch ein Druck, wenn du weißt: Wenn mir nichts einfällt, dann wird das nichts. Im Vergleich dazu war das jetzt sehr spielerisch. Eben auch, weil es keine Erwartungshaltung und keinen Zeitdruck gab, keine Plattenfirma im Rücken. Ich habe einfach erstmal alles gemacht, was mir eingefallen ist. 

Wie lange hast du am Album gearbeitet? Wie lange feilst du beispielsweise an den Texten? 

Sehr unterschiedlich. Ich habe ein Jahr lang geschrieben und Vorproduktionen gemacht, von denen dann auch viel auf der Platte gelandet ist – und zwar mehr, als ich ursprünglich dachte. Ich habe zum Beispiel Instrumente gesungen, weil ich sie nicht spielen konnte. Bei „MILF“ gibt es zum Beispiel so eine Stelle, wo eigentlich Bläser rein sollten, wo wir uns gedacht haben: „Na bitte, haben wir doch schon!“ (lacht) Am Ende waren wir dann drei Monate im Studio. Das ist luxuriös lange und war möglich, weil es unser eigenes Studio war. Dadurch hatten wir auch da keinen Zeitdruck und keine Gelduhr, die durchrattert. Wir haben wirklich eine sehr entspannte – unanständig entspannte – Zeit gehabt. Mit SEHR langen Mittagspausen (lacht).

Hast du darüber nachgedacht, als Solo-Künstlerin etwas völlig anderes zu machen, in eine ganz andere Musikrichtung zu gehen?

Was die Musik angeht nicht. Wir Sind Helden war für mich immer eine Band, in der unheimlich Vieles Platz hatte. Es war keine Band, wo man raus kommt und laut schreit: „Endlich kann ich machen, was ich will!“ Was man aber in einer vierköpfigen Band nicht machen kann, ist, den Sachen auf den Grund zu gehen. Man kann seine persönlichen Vorlieben immer nur zu einem Viertel einbringen. Das war ein Bedürfnis von mir, mal richtig tief in meinen eigenen Sound zu gehen und dann zu sagen: „Schöne Platte“.

Hat es nicht auch den Druck erhöht, wenn nur mehr der eigene Name auf der Platte steht?

Erst im Nachhinein. Als ich gemerkt habe, dass ich das jetzt tatsächlich alleine tragen muss und man sich auch nicht mehr selber sagen kann, dass man das ja jetzt gar nicht so gemeint hat (lacht). Es ist alles zu 100 % meins. Ich habe auch keine Bedauernisse, nichts. Die Platte klingt genauso, wie ich es wollte. Man muss dann auch sagen: „Ja, das wollte ich so.“

Der Song „Nichtsnutz“ ist ein Lobgesang auf den Müßiggang. Wie schwer fällt dir selbst dieses Nichtstun?

Nicht so schwer, wie man denken könnte. Wenn man sich den Output ansieht, dann könnte man meinen, dass ich die Füße nicht stillhalten kann. Für mich ist aber kreativ sein eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen und hat nicht viel mit Arbeit zu tun. Wenn mir mein Beruf zu doof wird, dann ist das beste Gegenmittel immer, neue Songs zu schreiben. Das ist keine „busy work“, sondern hat viel mit Müßiggang zu tun. Ich finde auch, man kann nur gute Songs schreiben, wenn man auch gut spazieren gehen kann. Oder gut auf dem Balkon sitzen. Ganz, ohne etwas zu machen. Songwriting hat immer eher etwas damit zu tun, dass man der Welt zuhört, als dass man groß etwas macht. Je mehr man alles mit seinem eigenen Lärm zumacht und geschäftig ist, umso mehr verhindert man, dass man Sachen sieht, die dann zu einem Song werden.

Spaziergänge sind also deine Inspirationsquelle.

Ja! Spaziergänge und anderer Leute Konzerte. Ich gehe von fast jedem tollen Konzert mit einem Song nach Hause. Nicht so konkret, dass ich mir denke: „Man müsste auch einen Song schreiben, der so klingt wie…“. Ich gehe dann einfach beseelt nach Hause. 

Gesellschaftskritik ist in deinen Texten ein immer wiederkehrendes Thema. Das ständige Etwas-tun-müssen und Immer-mehr-wollen ist scheinbar ein wichtiges Thema für dich. Denkst du, dass Musik wirklich einen Einfluss auf Menschen nehmen und etwas ändern kann? Dass es das grundlegende Denken von Menschen ändern kann?

Was ich glaube, weil es für mich zumindest immer so war, ist, dass Musik ein wichtiger Bestandteil von gesellschaftlicher Bewegung sein kann. Aber eher in der Art, dass man einen Soundtrack liefert. Musik beseelt alles – und wenn es eine Bewegung in der Gesellschaft gibt, zum Beispiel dass offensichtlich immer mehr Leute diesen Geschäftigkeitskapitalismus in Frage stellen, und das scheint ja eine gesellschaftliche Entwicklung zu sein. Natürlich ist es dann nützlich, wenn es das auch in Form von Musik gibt. Für die Leute, die so ticken wie ich zum Beispiel, bei denen die wichtigsten Gefühle immer durch Musik transportiert werden. Es ist aber eher eine Art Funken im Zunder, als dass man dadurch wirklich Ideen in die Welt bringt. Ich habe keinen missionarischen Impuls. Ich glaube nicht, dass jemand ein Lied hören und sagen würde: „Ach ja, stimmt!“ – nur wenn eine Meinung oder eine Stimmung grundsätzlich schon da war. So ist das jedenfalls für mich.

Wie entstehen die Ideen und die Umsetzung deiner Musik-Videos? Wie viel stammt von dir selbst?

Ich habe immer schon viel selbst gemacht. Ideen ausdenken, mir die Leute suchen, die die dann umsetzen können. Bei dieser Platte habe ich das mehr denn je gemacht, weil es dieses demokratische Element nicht mehr gab. Auf der anderen Seite habe ich gemerkt, dass ich eine Weile gebraucht habe, meine Leute zu finden. Mit jedem dieser Videos habe ich etwas gelernt und stelle mir gerade meine kleine Armee zusammen. Beim Video zu „Ein leichtes Schwert“ waren wir nur zu viert, da haben der Kameramann und ich Regie gemacht. Wir hatten vorher keinen Plan und sind einfach losgegangen. Die Ideen für die Videos sind bei mir immer unheimlich früh da. Ich hab zu jedem Song vom Album eine Idee für ein Video. Da kommt also noch einiges. An dem Tag, an dem wir das „Danke, ich hab schon“-Video gedreht haben, haben wir insgesamt gleich drei Videos gedreht. Bei solchen Sachen lernt man halt viel. Als die Platte fertig war, habe ich gesagt, dass ich zu jedem Song ein Video drehen will, und dachte, dass das ja nicht so teuer sein kann. Da haben mir alle gesagt, dass das viel teurer ist, als ich denke. Aber ich habe Beispiel-Videos gedreht und immer wieder gesagt, dass das doch nicht so teuer sein kann. Am Ende habe ich den Regisseur von den Beispiel-Videos angeschrieben. Mit diesem Regisseur mache ich jetzt sechs Videos. Der macht das auch nur zu viert und voll aus der Hüfte.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Diskussionen über Musikpreise – auch darüber, ob diese überhaupt relevant sind. Wie stehst du zu dieser Diskussion?

Gute Frage. Ich war gerade beim Echo und ich bin echt vom Glauben abgefallen. Der Echo war noch nie ein Fest der Liebe, sondern eine Business-Veranstaltung. Trotzdem konnte man immer eine kindliche Freude daran finden, weil man viele Leute und Bands dort trifft und Spaß auf der After-Show-Party hat. Aber dieses Mal… Am Anfang fand ich es noch witzig, aber dann hab ich einen Moment gehabt, wo ich gedacht habe: „Ich will mit eurem Pop nichts mehr zu tun haben.“ Dieses Jahr ist anscheinend offiziell die Trennung zwischen Schlager und Pop-Musik aufgehoben worden. Das wusste ich nicht. Helene Fischer hat den Echo moderiert, ist zwei Mal aufgetreten, ein Mal alleine und ein Mal mit James Blunt im Duett. Sie hat ihn die ganze Zeit so schlagerisch angeschmust und er hat immer versucht, ihr auszuweichen. Das war schrecklich! Man konnte kaum hinsehen. Fürchterlich, nicht zum Aushalten! Dann hat auch noch Beatrice Egli den „Best International Newcomer Award“ gewonnen. Da dachte ich dann: „Ok, ich bin raus.“ Das ist echt hart. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Musikindustrie so irrelevant geworden ist und wenige Leute noch genug Platten verkaufen, um überhaupt diese Kategorien zu rechtfertigen. Ich glaube, dieser Preis wird nur mehr dadurch aufrechterhalten, weil sie die echten Seller dazu nehmen – und die sind halt Schlager. Dann kann man aber der Pop-Kultur wirklich den Gnadenschuss geben. Warum gibt es auch noch die Schlager-Kategorie? Dann können sie sich schön ihre Preise hin- und herschieben und selbst verleihen. Schlager wird jetzt als Pop gelabelt. In Deutschland wurde im Schlager immer schon viel mehr verkauft als in der Pop-Musik. Es ist eigentlich total unfair, diese Leute jetzt mit in die Pop-Charts mit rein zu nehmen. Das ist, als würdest du ein fettes Kuckucks-Baby in ein Nest setzen und alle anderen rausschubsen lassen. Die Musikindustrie ist mittlerweile schon so verzweifelt, dass sie sich denken: „Ist uns scheißegal, wer Platten verkauft. Wenn es Helene Fischer ist, dann verkaufen wir die halt als Pop.“

Gibt es irgendjemanden, mit dem du gerne einmal zusammenarbeiten würdest, egal wer?

Macklemore! Und einen habe ich schon: Bonaparte. Mit dem wollte ich auch sehr gerne zusammenarbeiten und jetzt ist er auf meiner Platte. Und Chilly Gonzalez! Der ist so toll. Und und und! (lacht) Aber das wären die drei ersten. Oh nein, und Stef Kamil Carlens von dEUS! Das wäre so ein Traumkandidat, mit dem ich total gern etwas machen würde. Vielleicht noch vor Macklemore. Ich finde tatsächlich, dass mit anderen Leuten etwas zusammen zu machen fast die wichtigste Motivation in der Musik ist. Das ist die Fortsetzung von als Teenager am Lagerfeuer sitzen und sich gegenseitig Akkorde zeigen. 

Vielen Dank für das Interview!

Bilder: Petra Püngüntzky

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