Warum singen Wanda über Gerda Rogers, Domian und vom nach Hause gehen und was würden Marco Michael Wanda und Manuel Poppe studieren, wären sie keine Rockstars? Das alles erzählen sie uns im Interview und verraten außerdem Details über Ciao!, ihr kürzlich erschienenes viertes Album.
Es geht da oben immer um Leben und Tod.
Früher habt ihr davon gesungen, wo man spät nachts noch saufen gehen kann – heute, im Song „Nach Hause gehen“ singt ihr davon, dass ihr bald nach Hause gehen wollt. Was hat sich in den letzten Jahren bei euch verändert?
Marco: In unseren Leben hat sich viel getan, da bin ich mir sicher, weil wir jahrelang zwei Leben geführt haben. Eines voller Ekstase, Orgie und Illumination auf Tour, das Andere ein relativ lethargisches Leben in Wien. Es war lange Zeit eine Schwierigkeit, diese Welten zu verbinden. Mittlerweile haben sie aber Schnittstellen und es geht sich gut aus. Ich glaub, uns geht’s besser – als Menschen und auch als Band. Das war auch das Ziel: wir haben diese Band gegründet, um ein besseres Leben zu führen, lebensfähig zu werden und uns einen Sinn zu geben. Das hat mittlerweile funktioniert.
Hat es auch mit dem Alter zu tun, dass man besser klarkommt mit dem Leben?
Marco: Ich halte das in erster Linie für ein großes Glück – es hätte auch anders ausgehen können, egal, wie alt wir sind (lacht).
Auf dem neuen Album probiert ihr musikalisch Neues aus. Habt ihr manchmal den Wunsch, etwas ganz anderes zu machen, macht es aber nicht, weil man von euch diesen speziellen Sound möchte?
Marco: Wir sind keine Virtuosen, insofern ist das Feld relativ eng abgesteckt, das wir beackern können (lacht).
Manuel: Wir können halt nur ein Wanda-Album machen (lacht).
Marco: Wir können eigentlich nur so klingen, wie wir klingen, und versuchen, die Dinge anders klingen zu lassen. Aber ich habe auch nicht die größte Lust, allzu weit von dem wegzuarbeiten, was wir machen und was wir lieben. Ich sehe keinen Grund darin …
Manuel: Es sollte nie etwas reproduziert werden, sondern – mit Überraschungen gespielt – ein Wanda-Album sein. Das Nächste wird auch ein Wanda-Album.
Gibt es schon wieder neue Songs? Ich schreibt ja immer gleich viel auf einmal …
Marco: An neue Songs denken wir mal gar nicht. Wir sind viel zu aufgeregt (lacht).
Manuel: … also der Name wird mal gleich bleiben, das ist mal fix (lacht).
Marco: Raum und Zeit für Veränderungen, auch stilistisch, gibt es natürlich immer. Das würde ich auch niemals ausschließen wollen.
Aber es soll halt immer euer unverkennbarer Sound bleiben wahrscheinlich …
Marco: Naja, diese Kontrolle haben wir nicht. Wenn ich wirklich wüsste, wie man einen Hit macht oder ich immer die Kontrolle hätte, dann wäre ich Millionär! Aber das ist überhaupt nicht das Ziel, sondern das Ziel ist es, Lieder zu schreiben, die sich gut anfühlen und die sich gut spielen.
Ihr habt auf dem neuen Album ein Lied namens Gerda Rogers und eines namens Domian. Warum verewigt ihr Telefon-Seelsorger in eurer Musik?
Marco: Das entzieht sich meiner Kenntnis (lacht). Ein Lied, vor allem einen Text, zu schreiben, ist so ein illuminierter Zustand – der ist kaum bewusst steuerbar. Beim Schreiben hat mich fasziniert: warum rufen Menschen bei Domain an? Warum gehen sie nicht in Therapie? Und warum lass‘ ich mir von Gerda Rogers die Zukunft erklären und warum schmiede ich sie nicht selbst? Das finde ich total interessant. Nicht, dass das jetzt für diese beiden Personen gilt, was ich sage, aber „Schein-Experten“, die sich die Gesellschaft aussucht, ist ein gesellschaftlicher Umstand, der mich total fasziniert. Ich frag‘ mich, aus welcher Motivation heraus ich mir auf YouTube jemanden suche, der mir das Leben erklärt, oder der mir einen politischen Umstand erklärt. Das find ich total faszinierend: was treibt diese Gesellschaft dazu? Wo kommt das konsequente Anzweifeln von Wissenschaft, Politik und Kultur her? Warum füllen wir dieses Vakuum mit Experten, die keine Experten sind? Es hat mir in meinem Denkprozess auch irgendwann Leid getan, dass Menschen das tun.
Hast du eine Antwort darauf gefunden oder bist du noch im Nachdenkprozess?
Marco: Die Politik trägt ihren Teil dazu bei, dass wir sie nicht ernst nehmen. Immer öfter höre ich auch in meinem Umfeld, dass das Ganze zu einer Soap oder so zusammengeschrumpft wird: es sind immer wieder die selben Figuren, denen die selben Peinlichkeiten passieren (lacht). Speziell in Österreich – und das find ich sehr schade. Ich beobachte eine problematische Politikverdrossenheit und eine irrationale Wissenschaftskritik, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann und die mir sehr leid tut, als Mensch aus einem humanistischen Bildungshaushalt.
Manuel: Vielleicht wollen die Leute gar nicht wirklich hinschauen, sondern nur besänftigt und beruhigt werden, ohne dass sie viel machen müssen.
Macro: Nicht, dass wir uns in unseren Texten explizit damit beschäftigen, aber der Ich-Erzähler in unseren Stücken ist ohne Zweifel eine Art Prototyp des modernen Menschen, der in seiner Hilflosigkeit alles mögliche anruft: vom Partner bis zum Alkohol, bis zu Gerda Rogers und Domian. Das ist in Wahrheit diese Figur und der moderne Mensch. Damit beschäftigen wir uns zum Teil. Anderes hat natürlich ganz persönliche Inhalte, die ich aber gerne als Texter der Gruppe allgemein halte. Ich möchte niemanden um die Bedeutung unserer Songs enteignen. Ich finde das Ganze als Projektionsfläche eigentlich am Schönsten.
Ihr sprecht oft davon, dass die Beatles ein großer Einfluss sind. Ich finde, auf dem neuen Album hört man das. War das Absicht bzw. wie ist es jetzt dazu gekommen?
Marco: Ich finde das hoch interessant, denn ich merke das unserer Musik schon seit Stunde Null an. Aus irgendeinem Grund sind sich jetzt auf einmal alle einig, dass wir jetzt nach den Beatles klingen (lacht). Meiner Meinung nach ist das schon seit Jahren so. Aber wir nehmen das als etwas Schmeichelhaftes an.
Manuel: Das ist immerhin die beste Band der Welt.
Marco: Mit Abstand, ja. Das, was sie aus Musik gemacht haben, finde ich so interessant. Sie haben sowohl in den teilweise ganz zufällig wirkenden Akkordfolgen, wie auf Strawberry Fields, aber auch textlich durch ihren Nonsense immer erstaunliche lebensphilosophische Aspekte. Da haben sie schon etwas geschaffen, mehr als das ist nicht möglich. In diesem gewaltigen Baukasten findet sich für mich auch die reichhaltigste und schönste Musik wider.
Euch war also überhaupt nicht bewusst, dass ihr jetzt auch für andere, nach außen, nach den Beatles klingt?
Marco: Nicht wirklich. Wir können das, was wir tun, kaum steuern – zumal so viele Menschen daran beteiligt sind. Was da am Ende rauskommt, hat wenig mit dem zu tun, wo es begonnen hat. Das ist sehr interessant, das ist das Reizvollste überhaupt am Musikmachen: der Überraschungsmoment.
In einem Interview hast du, Marco, gesagt, dass die Beatles in einer Hinsicht allerdings kein Vorbild sind, nämlich weil sie irgendwann aufgehört haben Musik zu machen und miteinander befreundet zu sein. Was macht für euch eine richtige Freundschaft aus?
Marco: Da gibt es so viele verschiedene Modelle. Es gibt Menschen, die sieht man einmal im Jahr und es ist wundervoll. Ich wüsste jetzt nichts vernünftiges, was ich dazu sagen könnte.
Manuel: An einer Außengrenze einer Freundschaft steht zum Beispiel der respektvolle Umgang, auch bei Meinungsverschiedenheit. Wenn alles passt, dann passt immer alles. Aber wenn man sich mal am Arsch geht, dann muss man auch hier respektvoll miteinander umgehen. Das schaffen wir auch, wenn es bei uns mal passiert.
Marco: Das Leben ist einfach übermächtig. Alle Freundschaften, die das Leben gemeinsam überleben, muss man sehr, sehr schätzen. Man darf diesen Wert nicht aus den Augen verlieren.
Manuel: Es kommt nicht oft vor, man erfährt es eine handvoll Male im Leben – wenn man Glück hat.
Als Studentenmagazin interessiert uns natürlich: wenn ihr heute zum studieren anfangen würdet, welches Studium wäre es?
Marco: Ich hätte Malerei versucht. Sie würden mich nie nehmen (lacht), aber ich hätte es versucht.
Manuel: Medizin. Lass mich noch einmal 20 sein und ich würde Arzt werden. Es versuchen (lacht). Oder Architekt. Irgendein kolossaler Studiengang, den ich dann erfolgreiche abbreche…
Marco: … um eine Band zu gründen (alle lachen).
Manuel: … weil ich da eher ein paar Semester überlebe als in Niederlandistik oder so.
Marco: Grundsätzlich würde ich nichts anderes machen wollen, aber Malerei wäre spannend. Und was auch spannend wäre – aber ich glaube nicht, dass es ein entsprechendes Studium gibt: so etwas wie einen Trainer-Lehrgang zum Fußball-Trainer. Das hätte mich wahnsinnig fasziniert. Aber das kann man ja noch im hohen Alter machen.
Manuel: Wenn ich nochmal 15 wäre, dann hätte ich eine Tischler-Lehre begonnen, einer der künstlerischen Handwerksberufe. Oder Koch – entweder Koch oder Tischler. Aber ein Koch kommt schnell unter die Räder, ein Tischler – ein Holzarbeiter – der kann ganz große Kunst lernen.
Marco, du hast Sprachkunst an der Angewandten studiert. Profitierst du heute davon, wenn du Texte schreibst?
Marco: Ja, da bin ich mir sicher. Ich habe dort Menschen mit ähnlichen Interessen kennengelernt und das war in dieser Lebensphase sehr, sehr wichtig. Ich hatte viel Zeit herauszufinden, was ich will und was ich nicht will. Ich habe begonnen, im Rahmen des Studiums an einer eigenen Poetik zu arbeiten. Ich hatte diesen Freiraum. Das war ein toller Haufen an Menschen.
Warum hast du dann aufgehört?
Marco: Naja, ich bin Musiker. Als ich für mich herausgefunden habe, was ich gebraucht habe um gute Lieder zu schreiben, habe ich aufhören müssen. Schriftsteller bin ich keiner.
Was hat für euch Priorität: die Musik oder Texte? Wie geht ihr da heran?
Marco: Das ist beides untrennbar miteinander verbunden. Ich glaube auch nicht daran, dass man einen Text vertonen kann. Im Idealfall passiert das ungefähr gleichzeitig: die Melodievariation, die sich dem Text unterwirft oder umgekehrt. Am besten passiert es gleichzeitig, das sind Zwillinge, die auf die Welt kommen (lacht).
Manuel: Es braucht eine Gitarre und ein Schlagzeug. In allen Fällen …
Marco: … sonst ist es nicht Musik. Ganz einfach, ja.
Ein akustisches Lied, nur mit Gitarren-Begleitung, ist keine Musik?
Manuel: Eine Gitarre ist auch ein Rhythmus-Instrument, sie schlägt ja auch.
Marco: Jetzt ziehen wir das nicht zurück: nein, das ist keine Musik. Jemand der mit einer Akustik-Gitarre singt und spielt, das ist keine Musik (alle lachen).
Wie wisst ihr, wann ein Lied fertig ist und dass ihr jetzt aufhört, noch weiter daran zu arbeiten?
Marco: Es kann eigentlich nie fertig sein. In den seltensten Fällen habe ich das Gefühl, dass es etwas fertig ist. Aber man muss abbrechen, weil man weitermachen muss. Ich will ja nicht 10 Jahre an einem Lied arbeiten. Man muss einfach weitermachen.
Manuel: Ein Lied darf nie ein Zustand werden. Es ist einfach ein Moment, ein Einblick in eine Situation.
Marco: Man braucht lange, bis man das lernt. Bis man etwas gehen lässt. Das ist in unserem Beruf unglaublich wichtig. Man lässt die ganze Zeit das, was man macht, gehen. Man gibt es wohin, dort wird es nochmal gemischt oder bearbeitet und am Ende wird es gepresst, dann gehört es der ganzen Welt. Deswegen muss man unbedingt lernen, es gehen zu lassen. Das ist ganz wichtig.
Seid ihr darin gut? Oder braucht ihr jemanden der euch sagt „So, jetzt reicht es“?
Marco: Diese Rolle nimmt zum Teil unser Produzent Paul Gallister ein. Er hat uns über die Jahre auch ein gutes Gespür vermittelt. Ich weiß, wo „Stop“ ist und ich weiß auch, wo ich mich auf die anderen verlassen kann. Wenn ich nicht weiterkomme, dann weiß ich, dass jemand eine Lösung finden wird.
Seid ihr beim Schreiben des 4. Albums anders herangegangen als beim 1.? Ich könnte mir vorstellen, dass es mittlerweile einen gewissen Erwartungsdruck gibt.
Marco: Dieser Erwartungshaltung haben wir uns nie gebeugt.
Hat man die nicht manchmal unbewusst?
Marco: Nicht wirklich. Wir wollen unseren eigenen Vorstellungen genügen. Wir erwarten aber auch nicht wirklich viel von uns selbst. Wir kennen die Grenzen unserer Fähigkeiten. Die Stunde der Wahrheit ist immer, wenn das Touren und die Euphorie der Menschen beginnt: die Lust der Menschen an dem, was passiert. Was wir darüber denken, darum geht es nicht. Wir wollen die Musik teilen und Menschen zusammenbringen, das ist das Ziel. Wir wollen nicht trennen, sondern dass Menschen unterschiedlichster Denkweisen sich körperlich und geistig nahestehen, erleben, schwitzen und lachen. Wenn diese Orgie stattfindet, dann ist alles wunderbar.
Was macht für euch, wenn ihr auf der Bühne steht, ein richtig gutes Konzert aus? Merkt ihr, wenn es heute mal etwas besser oder schlechter läuft?
Marco: Ich merke nicht alles da oben, das ist ein Zustand der Katharsis und ein sehr gedankenloser Zustand. Aber mittlerweile werden wir so herzlich empfangen und die Menschen haben augenscheinlich so viel Leidenschaft für das, was in diesem Moment passiert, das sich die Frage eh gar nicht stellt.
Manuel: Natürlich ist nicht jedes Konzert gleich. Es ist nie gleich gut, gleich schlecht oder gleichsam. Aber wir gehen erst von der Bühne, wenn alles gesagt ist. Egal, ob es mal länger dauert bis es anläuft oder es gleich explodiert: wir gehen erst runter, wenn wir fertig sind. Somit bleiben wir nie etwas schuldig, an keinem Abend.
Marco: Es geht da oben immer um Leben und Tod. Anders ist es in Wahrheit nicht denkbar. Das sind wir den Menschen auch schuldig.
Mit eurem heutigen Wissen und Erfahrungen: Welchen Ratschlag würdet ihr eurem 16jährigen Ich mitgeben?
(beide überlegen lange) Manuel: Sobald man es ausspricht, wird es erst recht nicht befolgt.
Marco: Mir selbst würde ich gar keinen Ratschlag geben. Denn ich bin das Produkt aus sehr guten Ratschlägen, die ich wiederum von anderen bekommen habe. Aber einem 16jährigen in dieser Welt, in der wir heute leben, dem trau ich mich im Moment fast nicht, einen Ratschlag auszusprechen. Ich glaube, es eine schwierige Welt und sie wird immer schwieriger. Und ob ich als 32jähriger der Lebensrealität eines 16jährigen gewachsen bin, das weiß ich nicht (denkt weiter nach). Ich würde davon abraten, zu viel Zeit mit dem Internet zu verblödeln.
Manuel: Billard spielen, Pool spielen, Karten spielen.
Marco: Lesen. Dinge machen, die nicht nur unmittelbare Triebbefriedigung bedeuten. Es gibt viele Süchte und Alkohol ist das geringste Problem (lacht). Ich würde aufpassen, mich nicht zu sehr zu verfangen. Das ist zwar sehr abstrakt, aber das wäre mein Ratschlag. Und unbedingt Freundschaften pflegen und den Selbstwert hochhalten, und darüber den Wert aller anderen Menschen.
Wenn diese Orgie stattfindet, dann ist alles wunderbar.
Interview: Elisabeth Voglsam
Bilder: (c) Foto: (c) Wolfgang Seehofer