Bevor Dallas Green alias City And Colour am 19. Juni einen unvergesslichen und schweißtreibenden Auftritt in der Wiener Arena hinlegte (wir berichteten), stand er uns für ein ausführliches Interview zur Verfügung. Mit uns sprach der Kanadier über die Wunderwirkung von Manuka-Honig, die Suche nach Glück, seine perfektionistische Ader und die Universalität der Musik.

Es ist deine erste Tour ohne Alexisonfire. Spürst du eine Veränderung oder ist alles gleich geblieben?

Ich würde nicht sagen, dass ich eine Veränderung spüre. Es ist natürlich anders, weil ich jetzt auch andere Menschen um mich herum habe – aber es ist immer noch heiß, wenn es heiß ist, und immer noch kalt, wenn es kalt ist.

Hat Dallas Green zwei Seiten (passend zu deinem Song „Two Coins“) – eine laute, die er bei Alexisonfire ausgelebt hat, und eine ruhige, die bei City And Colour zur Entfaltung kommt?

Das werde ich häufig gefragt. Ich bin lediglich eine Person. Wie jeder andere will ich manchmal laut schreien – und wie jeder andere mag ich es auch manchmal etwas ruhiger angehen. Ich bin so wie alle anderen. Mich gibt es nur als Gesamtpaket, nicht als zwei voneinander unabhängige Seiten oder Personen.

In einigen Interviews habe ich gehört, dass dein erstes Album eine Art „Unfall“ war, weil Fans von Alexisonfire deine Songs auf YouTube gefunden haben und du daraus dann ein Album zusammengestellt hast. Wann hast du für dich entschieden, dass City And Colour der richtige Weg ist?

Ich glaube, das kam während der vergangenen paar Jahre. Ich fühlte einfach, dass es das ist, wohin mein Weg mich führt – nur ich mit meiner Gitarre. Ich habe gespürt, dass es diese Art von Musik ist, die ich weitermachen möchte, und nicht mehr Alexisonfire. Das ist keinesfalls etwas gegen unsere Band, aber es hat sich einfach so angefühlt, als wäre es das, was ich tun muss – als wäre es das, wo ich hingehöre.

Dein stimmliches Geheimrezept bei Auftritten und Album-Aufnahmen ist Manuka-Honig. Kannst du uns mehr darüber erzählen? Warum ist er so besonders für dich?

Vor sechs Jahren habe ich meine Stimme auf Tour verloren, als der Promoter in Schottland mich plötzlich fragte, ob ich schon einmal Manuka-Honig probiert hätte. Das hatte ich nicht und so gab er mir welchen. Ich habe einiges davon gegessen und meine Stimme kam zurück. Seitdem ist es mein Geheimrezept. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich heilende Kräfte hat. Ich habe keine Ahnung, ob es tatsächlich funktioniert oder nicht, aber ich habe das Gefühl, das tut es. Deshalb esse ich es auch vor und während Auftritten. Es macht meine Stimme so viel angenehmer. 

Deine Songs sind so inspirierend und beeinflussen wirklich viele Menschen. Ist es eine Ehre für dich, dass du Personen durch deine Lyrics in schweren Zeiten helfen kannst, oder siehst du es eher als Belastung?

Ja, es ist wundervoll, wenn etwas, das ich meist bloß über mich selbst geschrieben habe, auch andere Menschen berührt. Es ist schön, dass sie es mit etwas in ihrem eigenen Leben verbinden können. Das ist eine wunderbare Sache. Manchmal kann es natürlich auch etwas schwierig sein – beispielsweise wenn dir jemand eine traurige Geschichte erzählt. Aber am Ende des Tages ist es doch etwas, das ich mir immer gewünscht habe – Leute mit Musik so sehr berühren zu können.

Du sagst, dass du die meisten Songs über dich selbst schreibst. Welche Personen beeinflussen dich dabei?

Ich würde sagen, das Leben im Allgemeinen. Ich schreibe über alles Mögliche, das in bestimmten Momenten vor sich geht. Am letzten Album befinden sich viele Songs über meine Beziehungen zu meiner Familie oder meiner Frau, meinen Eltern oder meiner Schwester – oder sogar Tracks über mich selbst. Diese Platte hat viel mit einer Suche nach etwas Höherem zu tun – der Suche nach einem größeren und besserem Glücksgefühl, glaube ich.

Musst du beim Schreiben in einem bestimmten Gemütszustand sein oder funktioniert das immer?

Es ist nicht unbedingt ein Gemütszustand. Es ist mehr ein… Ich meine, ich spiele die ganze Zeit über Gitarre. Also suche ich immer nach neuen Ideen, aber lyrisch gesehen muss ich natürlich warten, bis der richtige Text sich zeigt. Ich will nicht nur herumsitzen und jeden Tag unzählige Songs schreiben, aus denen ich dann meine Favoriten herauspicke.

Ich habe gehört, dass gerade die Textsuche bei deinen Nummern ein langer Prozess sein kann. Würdest du sagen, du bist in der Hinsicht ein Perfektionist?

Ja, ich glaube, man kann von Perfektionismus sprechen. Es hat einfach damit zu tun, worüber ich singen möchte. Ich könnte wahrscheinlich jetzt sofort einen Song mit dir schreiben, wenn du das willst – über diese Box dort drüben oder den Tisch vor uns. Wir könnten zwei Verse über diesen Tisch schreiben, wie er mit Stickern vollgeklebt ist und am Boden steht. Aber das ist nicht das, was ich machen möchte. Verstehst du, was ich meine? Ich will über etwas Bestimmtes schreiben und das möchte ich auch nicht erzwingen. Ich will auf den richtigen Moment warten.

Hast du dann dennoch Lieder, bei denen du nicht zu 100 Prozent mit den Lyrics zufrieden bist oder sind alle genau so, wie du es immer wolltest?

Oh ja, ich würde wahrscheinlich alle ändern, wenn ich in der Zeit zurückgehen könnte und die Möglichkeit dazu hätte. Aber das ist okay. Ich glaube, es ist okay, immer etwas Besseres als das schaffen zu wollen, was du schon geleistet hast. Du solltest nie zurückschauen und sagen müssen „Das ist mein bester Song!“ Du solltest immer denken, dass du deinen besten Song erst schreiben wirst.

Dein neues Album „The Hurry And The Harm“ wurde Anfang Juni veröffentlicht und ich war ganz erstaunt, dein Gesicht darauf zu sehen, weil du immer gesagt hast, dass du nicht auf einem Albumcover abgebildet werden willst. Wieso hast du deine Meinung dazu geändert?

Ich bin mir nicht sicher. Ich wollte einfach etwas Neues ausprobieren – und hey, es ist immer noch nur eine Hälfte meines Gesichts (lacht). Ich arbeite mich so langsam darauf hin. Ich hatte wohl immer etwas Angst davor. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich nicht Dallas Green sondern City And Colour nenne. Ich wollte immer, dass es um meine Songs und nicht um mich geht. Aber mittlerweile weiß ich, dass sowieso jeder weiß, wie ich aussehe. Von daher spielt es keine Rolle mehr.

Apropos City And Colour… Ich finde es immer erstaunlich und witzig, wie viele deiner Fans nicht wissen, dass dein Künstlername sich auf deinen richtigen Namen Dallas (City) Green (Colour) bezieht.

Das ist wirklich witzig, aber ich freue mich, dass es ein Teil ist, den Leute erst über mich herausfinden müssen.

Einige kritisieren dein neues Album, weil es sich so anders anhört. Es beschränkt sich nicht mehr nur auf dich und deine Gitarre, sondern viele Songs wurden mit einer Band aufgenommen. Was denkst du darüber?

Es könnte mich nicht weniger kümmern, was diese Leute denken. Personen, die wollen, dass ich so klinge wie auf meinen alten Alben, sollen auch die alten Platten hören. Jay-Z, der Rapper, hat eine gute Zeile in einem seiner Songs. Da sagt er „People want my old shit, buy my old albums!“

Vor allem auf deinem neuen Album lässt sich schwer sagen, welche Genres du mit deiner Musik bedienst. Es hat Country-, Folk-, Pop- und auch Indie-Elemente mit dabei. Wie würdest du selbst deine Musik beschreiben?

Ich glaube, dass sie so ist, wie ich sie will. Die Leute sind viel zu sehr darauf fixiert, Dingen eine Kategorie aufzuzwängen. Sie versuchen immer zu beschreiben, welches Genre dies und jenes ist. Aber in Wahrheit spielt das doch keine Rolle. Wenn ein Song gut ist, dann ist er gut. Wenn du ein Lied großartig findest, dann magst du den Song. Da macht es doch keinen Unterschied, ob es HipHop, Heavy Metal oder Folk ist. Es ist nur wichtig, was du darüber denkst. Wenn ich einen Song schreibe, will ich also nicht eine bestimmte Art von Musik machen. Ich möchte kein Folk-Artist sein. Ich möchte auch kein Metal-Artist sein und schon gar kein Rapper. Ich will einfach nur mit meiner Gitarre spielen und warte ab, was passiert.

Das verstehe ich total! Ich finde, dass es oft auch wirklich schwer ist, etwas in Kategorien zu stopfen und die Leute tun es trotzdem.

Eben! Und da sind genauso die Leute, die das richtig studieren und versuchen, genau so zu sein, wie sie sein sollen. Also wenn sie sich dafür entscheiden, Folk-Artist zu sein, haben sie immer eine Acoustic-Gitarre dabei und tragen einen stylischen Hut. Wenn du das machst, weil du es wirklich willst, dann ist es auch okay. Aber mach es nicht, weil du denkst, du musst das tun, um das zu werden, was du willst. Ich schreibe auch einfach meine Songs und tue das, was sich für mich gut anfühlt – ganz ohne Kategorien.

Und es fühlt sich auch für deine Fans sehr gut an! Was magst du besonders daran, ein Musiker zu sein? Und gibt es auch Dinge, die du nicht so gerne magst, aber in Kauf nehmen musst?

Ach, ich liebe es zu singen und aufzutreten, weil es das ist, was ich machen möchte. Ich mag es aber nicht unbedingt, den ganzen Tag lang in einem richtig heißen, verschwitzten Raum zu sitzen und darauf zu warten, endlich spielen zu können. Aber daran muss man sich gewöhnen. Es gibt immer gut und böse – wie bei allen anderen Dingen.

Siehst du dir gar nicht die Stadt an, in der du spielst – also warst du auch gar nicht in Wien unterwegs?

Oh doch, wir waren schon gestern hier und sind den ganzen Tag herumgelaufen. Ich mag Wien wirklich sehr. Wir haben uns auch einen Film angesehen. Dadurch, dass ich schon so oft hier war, haben wir aber nur so viel Tourismus betrieben, wie wir bei der Hitze ertragen konnten (lacht).

Gibt es etwas, das du besonders am österreichischen Publikum magst?

Ich finde, dass das Publikum in den meisten Ländern ziemlich ähnlich ist. Ich meine das überhaupt nicht negativ und so klischeehaft, wie es auch klingen mag: Musik ist eine sehr universelle Sprache. Also ist es egal, ob ich gerade in Österreich, in Kanada oder gar in Japan bin. Wenn ich singe, singe ich auf Englisch. Ich singe und die Leute reagieren basierend auf den Worten, die ich singe. Bei all meinen Songs ist der Großteil des Publikums involviert. Jeder ist sich da ziemlich ähnlich. Wenn du in so vielen verschiedenen Ländern auf Tour bist, bekommst du einen guten Einblick, wie ähnlich sich Menschen wirklich sind.

Als du das erste Mal alleine als City And Colour auf der Bühne standest, warst du da besonders aufgeregt, dass die Leute möglicherweise nicht mögen, was sie zu sehen und hören bekommen, da sie etwas in Richtung Alexisonfire erwartet haben?

Nein, das glaube ich nicht. Ich habe mir da keine Gedanken darüber gemacht. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn ich etwas völlig anderes probiert hätte, aber ich habe ja bereits mit Alexisonfire das gemacht, was ich für richtig hielt und was ich machen wollte. Mit City And Colour ist es jetzt auch immer genau das, was ich will. Wenn ich spiele, denke ich auch nicht, dass jeder es mögen wird. Ich will nicht einmal, dass jeder es mag. Ich denke und hoffe, dass manche begeistert sind, aber ich will auch nicht Millionen Platten verkaufen. Ich will nicht an der Weltspitze sein.

Also kannst du dich auch immer noch auf der Straße blicken lassen, ohne dass du von jedem erkannt wirst?

Manchmal erkennt mich jemand, aber gestern bin ich beispielsweise den ganzen Tag in Wien herumgegangen und niemand hat mich angesprochen, obwohl ich eine Show vor tausenden von Leuten spielen werde. Aber das finde ich großartig. Wenn ich meine Songs schreibe, denke ich – wie schon erwähnt – nicht daran, was du oder jeder andere denken wird. Ich schreibe etwas, das sich für mich gut anfühlt und von dem ich hoffe, dass es wenigstens irgendjemand mögen wird.

Und das tun wir – vielen Dank für deine Zeit und das aufschlussreiche Gespräch!

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